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15 Jahre lebenslänglich

Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag alles anfing.

Ich weiß nur noch, dass es im (Früh)Sommer 2005 war, als ich von meiner Mama eine schmale, silberne Taschenuhr mit Handaufzug geschenkt bekam.

Dass ich mich über dieses Geschenk sehr freute, die Uhr gehegt und gepflegt habe.

Und ja, ich verwahre sie immer noch, auch wenn sie nicht mehr funktioniert...

 

Ich weiß auch nicht mehr, an welchem Tag, in welchem Monat ich das Ticken dieser Uhr auf einem Ohr plötzlich nicht mehr hören konnte.

Ich weiß nicht mehr, wann ich meine Mama bat, selbst einmal nachzuhören, weil ich dachte, die Uhr sei kaputt.

Ich weiß aber noch sehr gut, dass meine Mama das Ticken durchaus hören konnte und ich auf meinem zweiten Ohr ebenfalls.

Weiß noch, dass keineswegs die Uhr kaputt war, sondern mein Gehör anfing, kaputt zu gehen..

 

Ich kann nicht mehr sagen, wie oft wir danach bei verschiedenen Ärzten waren, oder wie oft Fehldiagnosen über "zu viel Ohrenschmalz!" bis hin zu "das ist bloß Einbildung!" gestellt wurden.

Ebenso weiß ich nicht mehr, wann ich letztendlich zur MRT-Untersuchung in ein wohnortnahes Krankenhaus überwiesen wurde.

Wohl aber weiß ich noch, wie blass meine Mama beim auf diese Untersuchung folgenden Arztgespräch plötzlich wurde.

Wie mein Papa dazukam und wie ich dachte, meine Mama falle in Ohnmacht...

 

Ich kann mich nicht erinnern, wie viele innere Kämpfe ich in dieser Zeit ausgestanden habe.

Weiß nicht mehr, wie oft ich verzweifelt bin, weil ich die Diagnose "Neurofibromatose Typ II mit multiplen Tumoren im Körper" mit einem Todesurteil gleichgesetzt habe. Kann nicht mehr sagen, wie oft ich mich erschießen wollte. 

Allerdings weiß ich noch sehr gut, dass vor allem meine Eltern mich durch all die Zeit immer begleitet, mich immer wieder aufs Neue aufgebaut haben, obwohl sie diesen Zuspruch selbst ganz oft viel nötiger gehabt hätten.

Und dass sie auch immer an meiner Seite sind, genau wie der Rest meiner Familie..

 

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich nach Heilmethoden, oder zumindest nach Erklärungen für die Krankheit gesucht habe.

Hab keine Ahnung, wie oft ich darauf  gedrängt habe, dass meine Familie sich auf Neurofibromatose testen lassen soll.

Ich kann nicht mehr sagen, wie oft ich andere, unbekannte Mitglieder unserer Familie finden wollte, um den Ursprung der Krankheit zu finden.

 Wohl aber erinnere ich mich noch, dass ich letztendlich akzeptieren musste, dass ich wohl eine "Neumutation" bin und als Einzige in meiner Familie betroffen..

 

Ich kann nicht zählen, wie oft ich in all den Jahren diverse Krankenhäuser von innen gesehen habe.

Ich kann nicht mehr sagen, wie oft ich Angst vor einer Operation hatte und mir dachte "gut, das war es jetzt!".

Ebenso kann ich all die Operationen, all die Narben nicht mehr zählen.

Ich erinnere mich aber sehr gut an all die Fürsorge, all die Unterstützung und an alle guten Behandlungen in den letzten 15 Jahren...

 

 

Ich weiß nicht mehr, wie viele Freundschaften im Laufe der Jahre an der NF zerbrochen sind.

Wie oft ich den Anschluss, den Kontakt verloren habe, oder am Ende schlicht gemieden wurde, weil ich mal wieder längere Zeit im Krankenhaus war.

Ich erinnere mich aber sehr wohl noch an alle Freundschaften, die ich über die Jahre geschlossen habe.

Ich weiß, wer meine guten Freunde geworden sind und für welche Menschen ich dankbar bin..

 

Ich kann heute nicht mehr sagen, wie oft ich schon auf spontane Heilung von der NF gehofft habe.

Wie viele Dinge ich ausprobiert habe, um mein Gehör wieder zu erlangen.

Und ich weiß auch nicht, wie oft ich schon in die Irre gelaufen und am Ende gescheitert bin.

Wohl aber erinnere ich mich daran, dass mir ein Medikament prophezeit wurde, das die NF stoppt.

Dass mir immer wieder Hoffnungen auf medizinische Forschungen gemacht wurden und werden, die es mir irgendwann ermöglichen könnten, wieder zu hören.

 

Ich weiß, dass alles im Jahre 2005, vor 15 Jahren begonnen hat - ich weiß aber nicht, ob und wann diese Krankheitsgeschichte jemals endet.

 

Viel wichtiger ist auch, dass ich weiß, wer meinen Weg schon immer begleitet hat, oder seit Jahren begleitet.

Wer an meiner Seite ist, auf wen ich vertrauen kann.

Für all diese Freunde und Familienmitglieder bin ich dankbarer, als für alles Hören dieser Welt.

 

"Wir sind wie Kreidebilder auf der Strasse vor dem Regen
und was für Gott eine Sekunde, ist für uns ein ganzes Leben.
Es gibt keine Garantie auf einen nächsten Tag mit dir,

aber wir - wir sind hier."