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Entweder machst du komplett auf behindert, oder du bist normal

Jemand sagte mir vor einiger Zeit, man könne mir bei meinen Problemen mit der Arbeitsagentur  "eigentlich" nicht helfen, denn:

"Entweder machst du komplett auf behindert, oder du bist normal".

 

Das hätte man auch der eigenen Tochter so gesagt. Das Mädchen ist wegen ihrer Einschränkung nur eingeschränkt beschulbar und wurde von seiner Mutter vor die Wahl gestellt: entweder könne sie eine "normale" Ausbildung suchen, oder sie müsse in eine Behindertenwerkstatt gehen.

Und überhaupt sagte man mir, man müsse entweder alle mit der Nase auf seine Einschränkung stoßen, oder eben so "normal" wie möglich sein. Die "normale" Welt würde sich nämlich nicht an irgendeine Einschränkung anpassen. Im Gegenteil, als Mensch mit Einschränkung muss man sich gefälligst an alle anderen Menschen anpassen!

Mich bringt normalerweise nichts so leicht aus der Fassung, aber in dem Moment war ich wirklich schockiert.

Und ich habe mir wieder mal meine eigenen Eltern gelobt. Die waren über manche meiner Entscheidungen sicher auch nicht ganz glücklich und für sie ist der Umgang mit meiner Krankheit und dem ganzen Drumherum auch nicht immer leicht - aber sie haben bisher immer uneingeschränkt hinter mir gestanden.

Dass man aber als Elternteil in den Moment sagt "tja, du bist nun mal behindert. Guck, wie du damit klar kommst, ich unterstütze dich nicht, wenn du mal Erleichterungen in Anspruch nimmst" konnte und kann ich bis heute nicht verstehen.

 

Ich möchte nun nicht darüber urteilen, wie man sich als Eltern in einer solchen Situation verhalten und wie man vielleicht fühlen sollte.

Diese Mentalität der "Normalen" ist mir auch in diversen anderen Situationen schon begegnet und ich kann sie absolut nicht nachvollziehen.

Was ist denn bitte "normal"?

Wenn jemand seine Sprache perfekt beherrscht, perfekt aussieht, eine perfekte Karriere hinlegt?

Hm, nein. Das ist schon mal nicht normal, sondern höchstens eine Ausnahme.

Jeder ist doch eigentlich "anders", denn alle sind individuell.

Der eine hat eine Hakennase und Sommersprossen, der zweite ist kleinwüchsig, der dritte hat afrikanische Wurzeln.

Der erste ist Diplomingenieur, der zweite Physiker und der dritte Universitätsprofessor.

Aber alle, ausnahmslos ALLE werden ernst genommen, sind Respektpersonen.

 Da schert sich niemand um ihr Aussehen, ihre Herkunft oder ihre Körpergröße.

Sicherlich ernten diese drei aus genau diesen Gründen auch mal Spott - aber sie werden akzeptiert und respektiert.

 

Warum klappt das nicht auch bei Menschen mit Einschränkungen?

Auch jemand im Rollstuhl kann Ingenieur werden, ein Blinder ist vielleicht ein Mathegenie. Ein Gehörloser hat das Zeug zum Atomphysiker und jemand mit Muskelschwund schafft es in die Bundesregierung.

Denkt einfach mal darüber nach. Ein schlichtes "normal" gibt es schon deshalb nicht, weil Menschen niemals exakt gleich sind.

Menschen lassen sich nicht in Zahlen und Fakten zusammenfassen. Wir sind schließlich kein Brückenbauwerk, sondern Individuen.

 

"Urteile niemals über Menschen, die in einer Situation sind, in der du noch nie warst."