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Neurofibromatose ist ein Arschloch.

"Bei der Neurofibromatose Typ 2 (NF2) handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit. Im Gegensatz zur Neurofibromatose Typ 1 (NF1, Morbus Recklinghausen), bei der die Veränderungen entlang des peripheren Nervensystems und auf der Haut auftreten, ist bei NF2 in erster Linie das zentrale Nervensystem, also Gehirn und Rückenmark, beteiligt.

Charakteristisch für die Neurofibromatose Typ 2 ist die Bildung gutartiger Tumoren, die im Gehirn und im Bereich des Rückenmarks lokalisiert sind. Besonders häufig entwickeln sie sich am achten Hirnnerv, dem Hör- und Gleichgewichtsnerv. Neben der Tumorbildung kommt es oft auch zu einer krankhaften Veränderung der Augenlinse.

Die Neurofibromatose Typ 2 ist eine seltene Erkrankung: Einer von 40.000 Menschen ist betroffen. Somit ist sie auch deutlich seltener als NF1, an der einer von 3.000 Menschen erkrankt. Die Neurofibromatose Typ 2 wird allerdings häufig erst im Erwachsenenalter entdeckt, da die Symptome relativ spät auftreten." - netdoktor.de

 

In meiner Familie gibt es keine anderen Fälle von Neurofibromatose. Ich bin eine Neumutation, oder, um es "netter" auszudrücken : eine Laune der Natur.

Ich war 10 Jahre alt, als die NF2 bei mir durch Zufall festgestellt wurde. Ich habe das Ticken einer kleinen, aufziehbaren Taschenuhr mit einem Ohr nicht hören können - mit dem anderen Ohr aber schon. Es folgte ein längerer Weg von Arzt zu Arzt, bis wir schließlich für eine MRT-Untersuchung (Magnet-Resonanz-Tomographie) ins Krankenhaus überwiesen wurden. Als Kind kann man noch nicht alles aufnehmen und verstehen, was Ärzte erzählen - aber ich werde niemals das Gesicht meiner Mama vergessen, als wir die Diagnose bekamen. Sie wurde von einem Moment auf den anderen kalkweiß und ich hatte wirklich Angst, sie fällt jeden Augenblick um.

Das erste mal wurde ich 2006 operiert. Im Alter von 11 Jahren fragt man nicht groß nach, man erhebt keine Einwände, lässt alles über sich ergehen.

Ich hatte damals an beiden Hörnerven jeweils einen Tumor. Der linke wurde 2006 entfernt, der rechte war noch "zu klein".

Wir sind damals gleich ins Clemenshospital Münster gegangen. Wenn ich dort nicht Prof. Sepehrnia (http://www.neurochirurgie-sepehrnia.ch/) kennengelernt (er war damals Leiter der Neurochirurgischen Abteilung) und er mich nicht operiert hätte - wer weiß, ob ich alles so verkraftet hätte. Ich habe mich von keinem anderen Arzt so verstanden und beschützt gefühlt.

2008 wurde ich dann am Hinterkopf operiert, war lange und immer wieder in Münster. Die wenigsten Schulfreundschaften haben diese Zeit überstanden, ich war damals schon "seltsam"..

Über die Jahre und durch die häufigen Operationen ließ mein Gehör langsam immer weiter nach. Mein erstes Hörgerät habe ich bereits 2006 bekommen.

Es folgten weitere Operationen: 2010 (der "alte"Tumor am rechten Hörnerv). 2011 (Tumor links, kurze Zeit später hat Prof. Sepehrnia das Clemenshospital verlassen). Im Jahr 2011 bekam ich auch mein erstes Cochlea-Implantat in der Uniklinik Mainz.. Damit war ich so "zufrieden", dass es vor kurzem wieder entfernt wurde. Die Uniklinik Mainz kann ich in dem Bereich leider überhaupt nicht empfehlen. 

2013 musste ich 7 Wochen lang zur Bestrahlung nach Heidelberg. Ich habe auch im Nacken einen Tumor sitzen, der allerdings inoperabel ist (viiiiel zu gefährlich!).

Im April 2014 bekam ich an der MHH Hannover mein zweites Cochlea-Implantat. Auch dieses wurde vor kurzem entfernt, weil meine Hörnerven leider zu stark geschädigt sind.

Im November 2014 wurde ich am Rücken operiert (Tumor an der Wirbelsäule). Die Monate davor waren nicht einfach - ich hatte erst im Sommer 2014 die Schule gewechselt und dann monatelang Schmerzen im rechten Bein. Diese Schmerzen wurden immer schlimmer, bis ich irgendwann zwar schon Morphium und Opiate genommen habe, aber trotzdem nichts mehr richtig konnte: sitzen war nur auf der vordersten Stuhlkante möglich (ja nicht die Füße überkreuzen!), Treppensteigen ging nur in einer bestimmten Reihenfolge (linker Fuß vor, rechter Fuß hinterher, bloß nicht verwechseln!) und an mehr als 5 Stunden Schlaf pro Nacht war absolut nicht zu denken.

Ich musste zur Ursachefindung unter Vollnarkose ins MRT. Und war noch nie so erleichtert, als man endlich wusste was mir fehlt und ich endlich, endlich in den OP kam..

 

Seitdem waren es nur noch Kleinigkeiten, z.B. eine Laser-Op am Auge (ja, ich hatte auch den Grauen Star, aber nicht jeder mit Grauem Star hat NF2). Ich habe Medikamente gegen die Krankheit/ Tumorbildung - momentan helfen sie soweit gut. Ich bin immer noch alle 3 Monate zur Kontrolle in Münster. Und ich besitze auch die kleine Taschenuhr noch, mit der alles anfing..

 

Natürlich hat mich die Krankheit verändert. Aber abgesehen von der Hörschädigung nicht körperlich, sondern was meine Haltung zum "großen Ganzen" angeht.

Ich habe früh gelernt, dass jammern mich nicht weiterbringt. Augen zu und durch - umso schneller ist's vorbei.

Ich habe gelernt, dass Langzeitstress absolut nichts für mich ist - also versuche ich ihn zu vermeiden.

Ich plane nicht mehr meine komplette Zukunft - sondern nur 3 Monate im Voraus.

Ich habe erkannt, was und wer mir wirklich wichtig ist. Und ich verschwende keine Zeit mehr an Menschen, die mich ohnehin für "seltsam" halten.

 

"Ich bin nun mal, wie ich bin. Bin ein verdammter Hauptgewinn.

Nicht für alle, nicht für jeden. Doch was soll's, ich leb' mein Leben."

- Frei.Wild