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Was man nicht sieht, macht Angst

Was man nicht sieht, macht Angst.

Auf das Fremde, das Unbekannte möchte man sich nicht einlassen. Im Gegenteil, Abstand! heißt die Devise.

Das war leider schon so, als ich am Gymnasium angefangen habe.

Dabei war es keineswegs so, dass wir im Mittalalter hängengeblieben wären..

Im Gegenteil. Als ich in die 5. Klasse kam, habe ich gleich so einige Freundschaften geschlossen. Und dabei hatte ich damals schon mein erstes Hörgerät!

Als dann aber ein halbes Jahr später die erste Op anstand und ich mehrere Wochen nicht in die Schule konnte, hat der Anfang vom Ende begonnen.

Umso öfter ich weg war, umso schlechter mein Gehör wurde, umso mehr Freunde haben sich leider abgewandt.

Klar - wir waren alle noch recht jung und man musste mit der Zeit gehen. Da war kein Platz für ein "sorry, ich hab dich akustisch nicht verstanden.".

Meine Altersgenossen wussten nicht mehr recht, was sie mit mir anfangen sollten.

Aussagen wie "ich mag dich eigentlich, aber du schaust im Unterricht voll oft zu uns rüber!" waren da noch die harmloseren.

Natürlich habe ich "voll oft zu anderen geschaut" - weil ich damals schon einiges über die Augen, über das Lippenlesen machen musste...

Niemand kann sich vorstellen wie es ist, gehörlos zu sein oder sein Gehör langsam zu verlieren. Und nein, man gewöhnt sich niemals daran!

Niemand kann sich Gehörlosigkeit vorstellen, oder "ausprobieren" - denn trotz aller Hilfsmittel (Ohrenschützer etc.) nehmt ihr immer noch Geräusche wahr.

Ich nicht. Gut, falls neben mir eine Bombe explodieren sollte, dann bekomme ich das vielleicht noch gerade so mit..;-)

 

Worauf ich hinaus will:

Man sieht die Gehörlosigkeit nicht.

Wenn man jemanden im Rollstuhl sieht, dann weiß man, derjenige kann nicht mehr laufen. Man sollte ihm z.B. die Türe zum Fahrstuhl offen halten.

Wenn man jemanden mit Blindenstock sieht, dann weiß man, derjenige kann nicht mehr sehen. Man sollte ihn warnen, wenn ein wildgewordener Radfahrer auf ihn zu rast.

Wenn man einen Gehörlosen sieht.. sieht man zunächst mal einen "normalen" Menschen. Die wenigsten unterhalten sich permanent in Gebärdensprache, also mit "fliegenden Händen".

Ich auch nicht. Ich unterhalte mich ganz normal. Wenn ich dann aber sage "Moment! Ich bin gehörlos, sprich bitte nochmal deutlich" - tja, dann ist das ganz oft ein ziemliches Problem.

"Ach, du bist gehörlos? Sieht man dir gar nicht an!" - hast du erwartet, dass meine Ohren zum Zeichen leuchten?

"Du bist gehörlos? Aber das ist doch eine normale Schule hier!" - richtig, und?

Solche Reaktionen zeigen genau das Hauptproblem auf:

Mit Gehörlosen hat der Ottonormalmensch nicht so oft Kontakt - da weiß er/sie einfach nicht, wie man das Ganze am besten angeht.

Kleiner Tipp: Ganz normal!

Stimmt, man sieht unsere Einschränkung nicht und wir bekommen es auch leider nicht mit, wenn man hinter unserem Rücken redet. Wir können nicht "normal" telefonieren.

Aber wir sind deshalb nicht blöd im Kopf!

Wir leisten genauso viel (und oft noch mehr!) wie andere auch.

Wir verstehen ganz genau was ihr von uns wollt - sofern ihr deutlich sprecht.

Wir stammen nicht aus einem Paralleluniversum - wir sind Menschen wie ihr es seid.

 

"Alle, die über Behinderte lachen oder lästern verdienen unser volles Mitgefühl,

denn sie sind sich ihrer eigenen Behinderung nicht bewusst."